
Musik an Fürstenhöfen des Mittelalters und der Renaissance
Anne Bredemeier, Meike Bruns, Corinna Kistner,
Sandra Schütte, Christiane Thiemt
Anonym, 13. Jh. | Ductia |
geistliche Musik | |
Alfonso X. "el Sabio", 1221-1284 | Gran poder |
Muit amar | |
Henry VIII, 1491-1547 | Consort XVI |
Anonym, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Pues es muerto el Rey del çielo |
Pedro de Escobar, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Virgen bendita sin par |
Heinrich von Louffenberg, 1390-1460 | Es stot ein lind in himelrich |
Henry VIII, 1491-1547 | Consort VIII |
Colmarer Liederhandschrift | Regenbogen tagewise |
politische und weltliche Musik | |
Henry VIII, 1491-1547 | Consort XIII |
Juan del Enzina, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Qu'es de ti, desconsolado? |
Tordesillas, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Françeses, por qué rrasón? |
Henry VIII, 1491-1547 | Gentil prince de renom |
Taunder naken | |
Cancionero Uppsala, 16. Jh. | Ay luna que reluzes |
Millán, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Que puedo perder |
Alonso, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | La tricotea Samartin la vea |
Juan de Anchieta, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Por unos puertos arriva |
Liebeslieder | |
Walter von der Vogelweide, ca. 1170-1230 | Under der linden |
Henry VIII, 1491-1547 | En vray amoure |
Badajos, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Malos adalides fueron |
Anonym, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Tres morillas m'enamoran |
Anonym, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | Por Mayo era, por Mayo |
Gabriel, Cancionero de Palazio, 16. Jh. | La bella malmaridada |
Geistliche Musik
Alfonso X “el Sabio” lebte von 1221 bis 1284 und war im sogenannten “ersten goldenen Zeitalter der spanischen Musik” König von Kastilien und Léon und dabei nicht nur Förderer der Künste, sondern auch selber ein bedeutender Minnesänger. Er beschäftigte an seinem Hof eine große Anzahl von Musikern, darunter etwa in gleicher Anzahl Juden, Mauren und Christen. Unter den Mauren sollen sogar – für diese Zeit sehr ungewöhnlich – 2 Frauen gewesen sein.
Seine Sammlung “Cantigas de Santa Maria” enthält 423 Wallfahrer-Lieder, die von ihm und seinen Hofmusikern gespielt und gesungen wurden. Sie erzählen auf seinerzeit völlig neuartige Weise von den traditionellen Marienwundern, verfasst in galizischer Sprache, die als besonders geeignet für lyrische Poesie galt, und berichten von abenteuerlichen und wunderlichen Wallfahrten aus dem gesamten christlichen Abendland nach Santiago de Compostela oder Montserrat. Jedesmal erscheint Maria im entscheidenden Moment, um Gnade oder Gerechtigkeit walten zu lassen. Die teilweise sehr detaillierten Berichte lassen vermuten, dass Publikum und Troubadoure die geschilderten Sünden mindestens ebenso faszinierten wie die Lossprechung.
Wir spielen zwei Lieder aus der Sammlung, in denen Maria Pilger aus Britannien aus Seenot rettet. Das erste, “Gran poder”, ist ein ruhiges, lyrisches Lied, wohingegen das zweite, “Muit amar”, fast volksliedhaft klingt und an einen Tanz erinnert.
Danach erklingt ein “Consort”, also ein Instrumentalstück, von Henry Tudor, also Heinrich VIII. Henry, von 1509 – 1547 König von England, wird heutzutage nicht zuletzt durch Fernsehserien wie “Die Tudors” eher als grausamer, wahnsinniger Tyrann, der sechs Ehefrauen durch Scheidung, Hinrichtung oder Tod im Kindbett verschliss, und durch seine Lossagung von der römisch-katholischen Kirche Ereignisse in Gang setzte, die das klösterliche Leben in England durch Auflösung der Klöster fast vollständig auslöschte, wahrgenommen.
Es gibt aber auch eine andere Seite, die vielleicht weniger bekannt ist:
Erzogen wurde er als zweiter Sohn ursprünglich für den geistlichen Stand; erst durch den Tod seines Bruders Arthur, Henry war damals 11 Jahre alt, wurde er zum Thronfolger. Er war als echter Renaissance-Prinz erzogen worden und beherrschte mehrere Sprachen fließend. Neben der religiösen Ausbildung hatte er auch Philosophie studiert. Er war ein Athlet und ein in der Kriegsführung ausgebildeter Ritter. Er verfasste Prosa und Poesie. Aber seine wahre Passion war die Musik: Er komponierte Messen (die heute verloren sind), Balladen und Consorts. Er spielte mehrere Instrumente und war ein guter Sänger. Nach seinem Tod hinterließ er eine private Sammlung, die u. a. die folgenden Instrumente umfasste: 10 Posaunen, 14 Trompeten, 5 Dudelsäcke, 76 Blockflöten, 78 Traversflöten, 1 Virginal. Da zur höfischen Musik seiner Zeit natürlich auch Streich- und Zupfinstrumente, sowie Rohrblatt- und Windkapselinstrumente gespielt wurden, darf vermutet werden, dass dies die Instrumente waren, die er selbst gespielt hat.
Wir werden Henry Tudor im Laufe des Abends noch öfter begegnen; die Stücke stammen alle aus einem Manuskript von 1513, also aus den ersten Jahren seiner Regierung, der Zeit vor der ersten Scheidung von Katharina von Aragon und dem Bruch mit Rom.
Etwa in die gleiche Zeit fällt die Entstehung der im Cancionero Musical de Palacio gesammelten Lieder im sogenannten “zweiten goldenen Zeitalter der spanischen Musik”. Dieses Liederbuch umfasste ursprünglich 551 Kompositionen, von denen 460 erhalten sind. Der Inhalt der Lieder ist vielfältig: Liebesgeschichten, politische und historische Ereignisse, Religiöses, Ritterliches, pastorale Themen, scherzhafte Streiche bis hin zu tanzbaren Musikstücken.
Wir spielen zunächst zwei geistliche Lieder:
“Pues es muerto el Rey del çielo” ist ein wunderschöner, stiller Trauergesang auf den Tod Jesu Christi.
“Virgen bendita sin par” (ein Loblied auf die Jungfrau Maria) wird von uns in einer instrumentalen Fassung auf Krummhörnern gespielt.
Das nächste Stück, “Es stot ein Lind in himelrich” führt uns in den deutschen Sprachraum und erzählt von der Verkündigungsszene.
Nach einem weiteren Consort von Heinrich VIII wird dieses Thema in etwas anderer Form aufgegriffen: Ein Tagelied beschreibt üblicherweise den Moment im Morgengrauen, an dem sich Liebende nach der gemeinsam verbrachten Nacht trennen müssen und versuchen, diese Trennung hinauszuzögern, wie wir es z. B. bei Shakespeare kennen, wo Julia ihren Romeo zum Bleiben überreden will: “Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die du gehört hast, wir haben also noch viel Zeit!” Man kann nur erahnen, wie ein mittelalterliches Publikum, dem diese Liedgattung natürlich geläufig war, darauf reagiert haben mag, als der Minnesänger Regenbogen nun aus einer anfänglich typisch höfischen Szene die Lebens- und vor allem die Leidensgeschichte Jesu entwickelt.
Die Form bleibt nur andeutungsweise im Refrain erhalten:
“Wächter, nun sieh zum Fenster hinaus, ob du nicht die Sonne
aufgehen siehst!” In der letzten Strophe, einer Ermahnung an alle
Christen, eingedenk ihrer Sterblichkeit ein frommes Leben zu führen,
wird dieser Refrain durch eine winzige Veränderung zu einer
Verheißung der Auferstehung: “Wächter, nun sieh zum Fenster hinaus,
die Sonne ging auf!”
Das Lied ist damit ein wunderschönes Beispiel mittelalterlicher
Dichtkunst, das an Dramatik kaum zu überbieten ist.
Politische und weltliche Musik
Musik hat immer auch die politischen Ereignisse ihrer Zeit reflektiert. Seien es Balladen, die die Großtaten eines Fürsten oder Ritters auflisten, Schlacht- oder Siegesgesänge oder Kommentare und Stellungnahmen zu Machtwechseln oder Revolutionen, Protestgesänge oder Lobeshymnen. Wir haben hier drei Beispiele aus der Renaissance ausgewählt:
Im Jahre 1492 entdeckte nicht nur Christoph Kolumbus “versehentlich” Amerika, seine Auftraggeber, Ferdinand und Isabella von Kastilien und Aragon beendeten in diesem Jahr auch die 700-jährige Herrschaft der Mauren in Spanien, indem sie deren letzte Bastion, Granada, eroberten. In dem Lied “Qu’es de ti, desconsolado?” wird der letzte maurische König von Granada gefragt, was er nun tun wolle, da er sein Reich und seine Männer verloren hat, und er wird aufgefordert, doch dem Islam abzuschwören, damit er wenigstens seine Seele rette. Erstaunlich ist dabei, dass das Lied trotz des zeitweise spöttischen Textes sehr melancholisch klingt, so als würde der Komponist Mitleid und Hochachtung für den Besiegten empfinden.
Das klingt in den beiden folgenden Liedern ganz anders! Hier werden die Franzosen zunächst von den Spaniern, dann von den Engländern verspottet. Warum die Franzosen? Wenn man sich den mittelalterlichen Herrschaftsbereich der Franzosen betrachtet, bestand Frankreich damals aus wenig mehr als der heutigen Île de France, also der Region um Paris. Der Einfluss und der Herrschaftsanspruch Frankreichs gingen aber weit über diese Grenzen hinaus. Seit Wilhelm dem Eroberer machte Frankreich auch seinen Anspruch auf England geltend und durch die Ehe von König Louis mit Eleonore von Aquitanien, die zwar geschieden wurde – stattdessen heiratete Eleonore Henry Plantagenet, den späteren König von England – sah Frankreich auch ihr riesiges südfranzösisches Reich als sein Eigentum an. Dort war man darüber natürlich nicht gerade erbaut…
In “Françeses, por qué rrasón” wird gespottet: Ihr Franzosen, warum flieht ihr aus dem Roussillon? Da kommt ihr mit eurem Lilienbanner aus Paris, verlasst euch auf den Schutz des heiligen Denis und müsst doch vor der Macht Léons klein beigegeben!
Noch deutlicher sagt es Heinrich VIII, als er den Herzog von Lothringen verspottet, der mit seinen Bewaffneten mit viel Tamtam daherkommt und, statt sich standesgemäß mit Rittern und Edelleuten zu messen, die Zivilbevölkerung auf schändliche Art und Weise mit Vergewaltigung und Brandschatzung überzieht. Henry verspricht ihm, dass er dafür am Galgen büßen werde: “Wenn du morgens noch die Mette bei Vogelgezwitscher hörst, so wird du doch danach die Messe hören, die die Raben singen!”
Danach wenden wir uns den alltäglicheren Dingen zu: nach “Taunder naken”, einem Consort über das damals in ganz Europa bekannte Lied “T’Andernaken op den Rijn” (zu Andernach am Rhein) singen wir ein Stück aus einer weiteren spanischen Sammlung, die nach ihrem Aufbewahrungsort in Schweden “Cancionero Uppsala” benannt ist. “Ay luna que reluzes” besingt den Mond, der die ganze Nacht erhellt.
Es folgt eine Instrumentalfassung des Liedes “Que puedo perder”.
“La tricotea” ist ein Trinklied, dessen Text voller bizarrer Anspielungen ist, deren Sinn sich heute leider nicht mehr voll erschließt. Man weiß nicht recht, ob der kaputte Weinschlauch, von dem die Rede ist, nun wörtlich zu nehmen ist, oder ob da gerade von einem betrogenen Ehemann die Rede ist…
“Por unos puertos arriva” beschreibt einen Ritter, der sein Pferd verloren hat und nun traurig und ziellos zu Fuß von den Bergen kommend durch die Wüste zieht.
Liebeslieder
Den letzten Teil unseres Konzertes widmen wir den Liedern von der Liebe, beginnend mit einem Lied von Walter von der Vogelweide, in dem ein Mädchen sich an ihre Erlebnisse unter der Linde an der Heide erinnert und froh darüber ist, das außer der Nachtigall, die wohl nichts weitersagen wird, niemand davon weiß, dass sie mit ihrem Geliebten dort war.
Es folgt ein weiteres Consort “En vray amoure” von Heinrich VIII, in einer Krummhornbesetzung.
“Malos adalides fueron” ist die Klage eines Verschmähten, der sich von den Blicken seiner Angebeteten verführen ließ, aber feststellen musste, dass diese gar nichts von ihm wissen wollte.
Es folgt “Tres morillas m’enamoram”, in dem ein Mann damit prahlt, wie er drei Maurinnen verführt hat, die eigentlich nur Oliven pflücken wollten. In dem Lied heißt es: “Sie wurden selbst gepflückt und kamen der Ohnmacht nahe zurück und wurden ganz blass.” Ein wenig später kommen sie jedoch zur Apfelernte zurück, um sich erneut “pflücken” zu lassen.
Das Lied “Por Mayo era” beschreibt, wie Frauen und Mädchen im Mai wieder der Liebe begegnen.
“La bella malmaridada” erzählt schließlich von einer unglücklich verheirateten Frau. Der Erzähler erinnert sie daran, dass er einst selbst um sie geworben hat und von ihr zurückgewiesen wurde: “Erinnere dich daran, wie du geliebt wurdest, Frau, du bist vor mir geflohen!”