Musik der Reformationszeit
Capella St. Lamberti - Anna Plader, Ulrike Lange, Anne Bredemeier,
Philipp Schläger, Reelf Herms, Andreas Lübbers, Tobias Götting
(Orgel und Leitung)
Ductia - Anne Bredemeier, Meike Bruns, Corinna Kistner,
Sandra Schütte
Vom Gregorianischen Hymnus zum evangelischen Choral | |
Anonym, 14. Jh. | Ductia |
Gregorianisch | Veni, redemptor gentium |
Johann Hermann Schein, 1586 - 1630 | Nu komm, der Heiden Heiland |
Gregorianisch | A solis ortus cardine |
Erasmus Widmann, 1572 - 1634 | Christum wir sollen loben schon |
Heinrich Isaac, um 1450 - 1517 | Carmen |
Gregorianisch | Da pacem, Domine |
Heinrich Schütz, 1585 - 1672 | Verleih uns Frieden genädiglich |
Gregorianisch | Veni Creator Spiritus |
Sethus Calvisius, 1556 - 1615 | Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist |
Melchior Schildt, 1592 - 1667 | Pavana Lachrymae |
Geistliche und weltliche Cantus-Firmus-Lieder | |
Georg Forster, um 1510 - 1568 | Der Hundt mir vor dem liecht umbgaht |
Arnold von Bruck, um 1490 - 1554 | Es ging ein Landknecht über Feld |
Johann Staden, 1606 | Gagliarda Nr. 37 |
Georg Forster, um 1510 - 1568 | Traut Marle, traut Marle |
Caspar Othmayr, 1515 - 1553 | Hätt' mir ein espes Zweigelein |
Ludwig Senfl, ca. 1486 - 1542/43 | Tandernaken |
Thomas Stoltzer, um 1480 - 1526 | In Gottes Namen fahren wir |
Arnold von Bruck, um 1490 - 1554 | Aus tieffer not |
Vom weltlichen Lied zum evangelischen Choral | |
Jan-Pieterszoon Sweelinck, 1562 - 1621 | Ballo del Granduca |
Mönch von Salzburg, um 1350 - nach 1400 | Der tischsegen |
Arnold von Bruck, um 1490 - 1554 | Vater unser im Himmelreich |
Heinrich Isaac, um 1450 - 1517 | Innsbrucklied |
Bartholomäus Gesius, 1562 - 1613 | O Welt, ich muß dich lassen |
Heinrich Finck, um 1445 - 1527 | Carmen |
Hans-Leo Hassler, 1564 - 1612 | Mein Gmüt ist mir verwirret |
Johann Crüger, 1598 - 1662 | O Haupt voll Blut und Wunden |
Anonym, 16. Jh. | Weiß mir ein Blümlein blaue |
Hans-Leo Hassler, 1564 - 1612 | Nun Lob, mein Seel, den Herren |
Die Ursprünge der christlichen Musik in Westeuropa
Der Ursprung des gregorianischen Chorals lag in dem Bedürfnis der Urchristen, ihren Gesang deutlich von dem der Heiden abzugrenzen. Hierzu diente vor allem das strenge Verbot der Verwendung von Instrumenten, das Ausmerzen der volkstümlichen Melodien zugunsten orientalisch-jüdischer Melismen und das Zurückdrängen des Chorgesangs. Das Singen wurde immer mehr einzelnen bestellten Sängern (Psaltes), die zumeist auch Priester waren, anvertraut. Dem Gemeinschaftsgesang wurden nur refrainartige Einwürfe und ganz einfache Lieder überlassen.Im Gegensatz zu anderen regionalen Kirchengesangstypen wurde der Kirchengesang in Rom auf diese Weise radikal von allen Elementen, die irgendwie an das Heidentum erinnerten, gesäubert. Außer Worten des Evangeliums und des Alten Testaments waren keine mehr zugelassen. Die Dichtkunst war bereits durch Rhythmus und Wortklang verdächtig, weil dies auch die heidnische Dichtung auszeichnete. Der Hauptzweck dieser Askese, die Reinheit der Lehre, hob den römischen Kirchengesang aus dem Rahmen jeder Musik heraus und verlieh ihm eine rein spirituelle Funktion. Vom Bestandteil des sakralen Geschehens wurde er zur Sakralhandlung selbst. Wenn er in den Kirchen erklang, war er kein Gesang von Menschen, sondern wurde mit den Kultstätten vereint zum untrennbaren transzendenten Erlebnis.
Die Verbreitung des gregorianischen Chorals über das Abendland bis nach England erwies sich als ausgezeichnetes Mittel zur Vereinheitlichung des christlichen Kultes, brachte aber auf der anderen Seite die Einheit und Gleichförmigkeit des gregorianischen Singens in Gefahr. Es kam bald zu Neuschöpfungen und zur Veränderung der ursprünglichen Melodien, zumal die Notenschrift zunächst noch keine eindeutigen Hinweise zu Intervallen zuließ. Im 10. Jahrhundert entstanden neue Formen wie Sequenz, Tropus und Hymnus, die auch wieder gereimte Strophen mit antikem Metrum verwendeten. Die Melodien wurden volkstümlicher und später teilweise sogar mehrstimmig gesungen.
Der Kirchengesang bei Martin Luther
Mit den Texten und Kompositionen Martin Luthers ist der deutsche Kirchengesang in ein neues Stadium getreten. Das Singen war eine der vorzüglichsten Waffen der Reformation. Mit dem Gesang im Gottesdienst bezog er die gesamte Gemeinde, nicht nur Pfarrer und Chor, in die Liturgie ein. Beim neuen Kirchengesang, bei dem es nicht um Musik an sich ging und auch nicht um einen musikalischen Ausdruck des religiösen Gefühls, sondern um die religiöse Hinwendung selbst, waren Orgelklang und Chorgesang keine Bestandteile des Gottesdienstes mehr, sondern sein Kern. Luther nahm ein- und mehrstimmige, gesungene und gespielte Musik, neue Kompositionen und Kontrafakta, also mit neuem Text unterlegte geistliche und weltliche Lieder, in den Gottesdienst auf. Er hat das religiöse Denken von reglementierten Äußerlichkeiten losgelöst und konnte somit jede Art von Musik adaptieren, sofern sie zum Ziel der Glaubenserneuerung, Glaubensfestigung und Stärkung der Gemeinschaftlichkeit führte. Die neuen Choräle trugen außerdem zur Identifikation der Protestanten mit der neuen Konfession bei und dienten so der Abgrenzung zum Alten. Wie heute die Protestlieder bei Demonstrationen und Kundgebungen wurden Lieder wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ sogar dazu benutzt, die Gottesdienste der „Altgläubigen“ nieder zu singen.
Luther selbst verfasste 36 Liedtexte, von denen er mindestens 20 mit selbst komponierten Melodien versah. Dazu kamen noch Weisen für fremde Texte. Wir richten unser Haupt-Augenmerk in diesem Programm auf die Kontrafakta und stellen im ersten Teil gregorianische und im dritten Teil weltliche Vorlagen den geistlichen Chorälen direkt gegenüber. Es ist dabei interessant, zu beobachten, wie die Stimmung der weltlichen Vorlagen durch die geistliche Bearbeitung aufgenommen und verstärkt wird.
Die weltliche Musik der Reformationszeit
Komplettieren möchten wir dieses Bild des Musiklebens der Luther-Zeit mit einigen weltlichen Liedern, sowie Instrumentalsätzen wie den „Carmina“ (einer Vorstufe der Canzone, wie wir sie etwas später z. B. bei Gabrieli finden), eine Cantus-firmus-Vertonung des Liedes „T’Andernaken op den Rijn“ (dessen Vorlage leider nicht überliefert ist, das aber viele Komponisten zu ähnlich verzierten Sätzen inspiriert hat) und die höfische Galliarde.
Die Lieder aus dem zweiten Teil unseres Programms entstammen der Sammlung „Ein Außzug guter alter und neuer teutscher Liedlein“ Georg Forsters, in der Lieder von über 50 Komponisten, so auch von ihm selbst, enthalten sind. Diese stammten zumeist aus dem süddeutschen Raum, wo sie in der 1498 gegründeten Hofkapelle des Habsburger Kaisers Maximilian I. Anstellung fanden. U. a. erhielten der Bamberger Heinrich Finck, der Flame Heinrich Isaac und der Schweizer Ludwig Senfl hier nicht nur eine grundlegende musikalische Förderung, sondern erreichten auch durch die Reisen im Gefolge des Kaisers einen großen Bekanntheitsgrad. Der Flame Arnold von Bruck war bei Ferdinand I., dem Nachfolger Maximilians, Kapellmeister. Obwohl von Bruck selbst katholisch war, schuf er eine Anzahl von Bearbeitungen lutherischer Lieder. Von Ludwig Senfl ist bekannt, dass er nicht nur im Kontakt mit Luther stand, sondern von diesem sogar mit der Komposition von Motetten beauftragt wurde.
Auch im Norden fand sich mit Herzog Albrecht von Preußen in Königsberg ein wichtiger Ausgangspunkt für die protestantische Musik. Albrecht hat dem deutschen Gemeindegesang in den Kirchen nach dem Vorbild Martin Luthers und seiner Verbreitung große Bedeutung beigemessen. Aber auch dem weltlichen Kunstlied der deutschen Renaissance schenkte er sein lebhaftes Interesse. Mit zahlreichen Komponisten, wie z. B. Thomas Stoltzer stand er im Briefwechsel. Herzog Albrecht hielt eine Hofkantorei, eine höhere Schule für Gesang, und eine Hofkapelle, die der Pflege der Instrumentalmusik diente.
Das deutsche Lied weist eine weitgehende Kontinuität der
Entwicklung auf:
Aus dem Mittelalter sind nur einstimmige Lieder überliefert. Erst
bei Oswald von Wolkenstein und dem Mönch von Salzburg stellten sich
im späten 14. Jahrhundert Ansätze zur Mehrstimmigkeit ein.
Die nächste Phase ist das Tenor- oder Cantus-firmus-Lied mit
mehrstimmigem Satz. Beispiele hierfür sind die geistlichen Lieder
„Aus tiefer Not“ und „In Gottes Namen fahren wir“ und viele Lieder
aus der Sammlung Forsters.
Einige Choralbearbeitungen führen uns ins beginnende 17.
Jahrhundert:
Hans-Leo Hassler wanderte 1584 als einer der ersten deutschen
Musiker nach Venedig, wo er sich von Andrea Gabrieli im
venezianischen Stil unterrichten ließ, so wie wenige Jahre später
auch Heinrich Schütz bei dessen Neffen Giovanni Gabrieli in die
Lehre ging. Nach einem Jahr kehrte er zurück nach Nürnberg und wurde
bei Graf Octavianus Secundus Fugger Kammerorganist und Domorganist.
Ein bemerkenswertes Schicksal erfuhr sein fünfstimmiges Liebeslied
„Mein Gmüt ist mir verwirret“, dessen Melodie von Johann Crüger für
das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ übernommen wurde.
Erasmus Widmann wurde zu Beginn des Jahres 1602 als Präzeptor und Organist vom Grafen Wolfgang von Hohenlohe an die gräfliche Lateinschule nach Weikersheim berufen. Sein Weikersheimer Gesangbuch, aus dem auch der Satz „Christum wir sollen loben schon“ stammt, zeigt, dass an eine Beteiligung der Gemeinde am mehrstimmigen Gesang gedacht wurde.
Sethus Calvisius erhielt 1594 die ehrenvolle Stellung des Kantors an der Thomasschule und Musikdirektors der Hauptkirchen Leipzigs. Der Stil seiner Kompositionen ist konservativ, aber auf schönen Chorklang gerichtet. Sein Nachfolger als Thomaskantor war kein geringerer als Johann Hermann Schein.
Der Nürnberger Organist Johann Staden gilt als Begründer der sogenannten „Nürnberger Schule“ und wurde bereits zu Lebzeiten überaus geschätzt. So lud ihn z. B. der Markgraf Christian in Jahre 1619 nach Bayreuth ein, wo er anlässlich einer Orgelweihe zusammen mit Michael Praetorius, Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein konzertierte.
Unsere drei Programmteile werden durch Orgelkompositionen verknüpft, die ihren Titeln zum Trotz klare Bezüge zum Protestantismus einerseits und gewissermaßen zur Kontra-faktur andererseits herstellen: Jan Pieterszoon Sweelinck galt neben seinem nahezu legendären Ruf als Virtuose der Tasteninstrumente als bedeutendster Orgellehrer seiner Zeit. Besonders aus Deutschland, wo er als „Organistenmacher“ bekannt war, strömten ihm Schüler zu, darunter auch der Hannoveraner Melchior Schildt, dessen „Pavana Lachrymae“ das Lied „Flow My Tears“ des elisabethanischen Komponisten John Dowland aufgreift, das auf Anhieb so erfolgreich war, dass bereits Dowland selbst einen 7-teiligen Instrumental-Zyklus darüber verfasste. Sweelinck kommt schließlich auch zu Wort: seine Variationen „Ballo del Granduca“ behandeln ein ähnlich erfolgreiches Thema von Emilio de Cavalieri.