Tel.  0441 2488491
E-Mail info(at)ductia.de

Anno Domini

Konzert vom 24.10.2010 um 18 Uhr in der Pauluskirche, Lüneburg

Ausführende:
Anne Bredemeier, Meike Bruns, Corinna Kistner, Sandra Schütte, Christiane Thiemt

Anonym, 13. Jh. Ductia
Winter
Anonym, 14. Jh. Lamento di Tristano / La Rotta
Mönch von Salzburg, ca. 1350 - 1400 Josef lieber nefe mein
Michael Praetorius 1571 - 1621 Ein Kind geborn zu Bethlehem
Gilles Binchois, um 1400 - 1460 Da pacem, Domine
Oswald von Wolkenstein, 1377 - 1445 Ave mater, o Maria
Frühling
Wizlav III. Fürst von Rügen, 1265 - 1325 Loibere risen
Walter von der Vogelweide, ca. 1170 - 1230 Palästinalied
Glogauer Liederbuch, 1480 Surrexit Christus hodie
Anonym, 13. Jh. Edi be thu
Neidhardt von Reuenthal, ca. 1180 - 1240 Blozen wir den anger ligen sahen
Anonym, 15. Jh. Tota pulchra es amica mea
Anonym, 12./14. Jh. Alta Trinita Beata (Laude)
Christopher Tye, ca. 1500 - 1573 In Nomine "Crye"
Sommer
Reading, um 1300 Sommerkanon
Glogauer Liederbuch, 1480 Die Katzen Pfote
Llibre Vermell, 14. Jh. Laudemus virginem
Stella splendens in monte
Anonym, 14. Jh. Istanpitta Ghaetta
Herbst
Henry VIII, 1491 - 1547 Pastime with good company
Erasmus Widmann, 16. Jh. Christina
Barbara
William Cornish, ca. 1468 - 1523 Ah Robin, gentle Robin
Hayne van Ghizeghem, ca. 1440 - 1472 De tous bien plane
Josquin d'Ascanio (des Prés), ca. 1440 - 1521 In te, Domine, speravi
Llibre Vermell, 14. Jh. Polorum regina
Mariam matrem virginem

Mit dem Tanz “Ductia” beginnen wir unser Konzert, das Sie auf eine Reise durch einen mittelalterlichen Jahreslauf mitnehmen möchte. Der erste Abschnitt widmet sich der Winterzeit: Das Leben im Mittelalter war stärker als heute von den kirchlichen Festen bestimmt. Deshalb beginnen wir unser Konzert mit der Adventszeit, dem Beginn des Kirchenjahres.

Winter

Advent – Warten auf Weihnachten, auf die Geburt Jesu Christi. Für diese Zeit steht die mittelalterliche Estampie “Lamento di Tristano” mit ihrem meditativen Charakter, die in die fröhliche “La Rotta” mündet. Unter einer Estampie versteht man ein tänzerisches Lied der Troubadours, das später zum Instrumentalstück und somit zur Tanzmusik wurde. Eine Estampie besteht üblicherweise aus teilweise nur leicht variierten oder erweiterten Melodiezeilen, die jeweils mit gleichbleibenden Halb- und Ganzschlüssen wiederholt werden.

Dann beginnt die Weihnachtszeit, in unserem Programm mit zwei sehr unterschiedlichen Liedern: “Josef lieber nefe mein” vom Mönch von Salzburg drückt eine geradezu kindliche Freude über die Geburt Jesu aus, “Ein Kind geborn zu Bethlehem” vom wolfenbütteler Kantor Michael Praetorius erinnert dagegen mit seinem sanftem Schwingen an ein Wiegenlied. Praetorius ist heutzutage vor allem durch sein wunderschönes “Es ist ein Ros entsprungen”, sowie durch das “Quempas-Singen” bekannt. Musikwissenschaftlich ist er durch verschiedene Abhandlungen bedeutsam, u. a. durch sein “Syntagma Musicum”, in dem er die Musikinstrumente seiner Zeit so detailgetreu abgebildet hat, dass es modernen Instrumentenbauern möglich war, anhand seiner Zeichnungen wunderbar spielbare Nachbauten anzufertigen.

Das neue Jahr beginnt, traditionell mit der Bitte um Frieden, hier zu hören im dreistimmigen “Da pacem, Domine” von Gilles Binchois, der zu den ersten Komponisten seiner Zeit gezählt wurde.
Weniger bekannt ist vielleicht, dass der 1. Januar auch ein Hochfest der Gottesmutter Maria ist, dem wir mit dem “Ave mater, o Maria” von Oswald von Wolkenstein einen Platz in unserem Programm gewähren wollen.

Frühling

Ich glaube, in diesem Jahr konnten wir besonders gut nachempfinden, wie sich Wizlav, der letzte regierende Fürst von Rügen, am Ende eines langen Winters den Frühling herbeisehnt. In “Loibere risen” ist er traurig über die kahlen Bäume und die verschwundenen Blumen und sehnt sich nach der Maienzeit, in der er seiner Dame wieder den Hof machen kann.

Doch bevor es soweit ist, kommt die Passionszeit, die Zeit der Entsagung, des Fastens. Walter von der Vogelweide nimmt uns dazu mit auf eine Pilgerreise nach Jerusalem, wo er des Leidensweges Jesu gedenkt.

Ostern feiern wir mit einem Lied aus dem Glogauer Liederbuch: “Surrexit Christus hodie” beschreibt in überschäumender Freude die Geschehnisse um die Auferstehung Jesu Christi.

Dann ist endlich der Mai da. Unser heutiger “Tag der Arbeit” war auch schon im Mittelalter ein Feiertag. Geweiht war er der Jungfrau Maria, und so zogen am 1. Mai die jungen Leute in den Wald, um Zweige und Blumen zu sammeln, mit denen sie die Marienstatue für die Prozession schmückten. Das Gymel “Edi be thu” (Gepriesen seist du, Himmelskönigin) erzählt uns von der Fröhlichkeit dieses Festes.

Bei diesen Waldausflügen wurde sicher auch so manche Liebschaft angebahnt. Wohin das führen kann, schildert “Blozen wir den anger ligen sahen”, in dem ein Bauernmädchen sich darauf freut, sich mit ihrem Liebsten, ausgerechnet dem Ritter von Reuenthal (dem Verfasser und Komponist dieses Liedes), zum Tanz zu treffen. Ihre Mutter bittet sie inständig, doch Vernunft anzunehmen und stattdessen mit dem Bauernjungen, der um sie wirbt, auszugehen. Die Tochter ist aber überzeugt von ihrer Wahl und sagt: “wenn ich einem Ritter gehören kann, was soll ich dann mit einem Bauern?”

Pfingsten feiern wir in unserem Konzert mit einer Hoheliedvertonung. Das Hohelied Salomos wurde in der mittelalterlichen Kirche als Gleichnis für die Liebe zwischen der Christenseele und Jesus Christus gedeutet und soll uns hier an den “Geburtstag der Kirche” erinnern.

Mit der Laude “Alta trinita beata” sind wir beim Trinitatis-Fest angekommen.

Der Sommer steht schon vor der Tür und wir freuen uns darauf mit dem “Im Nomine Crye” von Christopher Tye.

Sommer

“Der Sommer ist da!” Die ältesten Belege kanonartiger Kompositionstechnik stammen aus dem England des 12. Jahrhunderts, so auch der Sommerkanon aus dem Kloster Reading, der sowohl mit einem weltlichen als auch mit einem geistlichen Text notiert worden ist. Der weltliche Text schildert den Sommer, der mit Kuckucksrufen und anderen Tierlauten ins Land zieht.
Passend zu diesem Bild spielen wir “die Katzenpfote”, ein rhythmisch recht anspruchsvolles Instrumentalstück aus dem Glogauer Liederbuch.

Am 15. August wird das Fest Mariä Himmelfahrt gefeiert. Lassen Sie uns im Geiste zum Marienwallfahrtsort Montserrat in Spanien pilgern. Dort haben die Mönche den Pilgern im “Llibre Vermell” eine Anzahl von Liedern zur Verfügung gestellt, die sie bei der Nachtwache und auch tagsüber auf dem Kirchplatz singen und tanzen dürfen, denn hier durften nur “sittliche und anständige” Lieder gesungen werden. Im Vorwort heißt es auch: “Diese sollten mit Rücksicht und Mäßigung verwendet werden, ohne Störung für jene, die ihre Gebete und geistlichen Kontemplationen fortführen möchten.”

Wir haben zunächst den Kanon “Laudemus virginem” und das Tanzlied “Stella splendens in monte” ausgewählt, in dem besungen wird, wie Menschen aus allen Bevölkerungsschichten nach Montserrat pilgern, um Maria, den “glanzvollen Stern auf dem Berg”, zu lobpreisen.

Ein ganz anderer Tanz ist die “Instanpitta Ghaetta”, eine sehr kunstvolle Estampie von fast orientalisch anmutendem Charakter.

 Herbst

Heinrich VIII. war ursprünglich dafür bestimmt, Kleriker zu werden, und genoss daher eine gründliche musikalische Ausbildung. Durch den Tod seines älteren Bruders Arthur wurde er Thronfolger und König von England. Er war der erste Renaissanceherrscher auf dem englischen Thron. Heute ist er vor allem als blutrünstiger Herrscher und Ehemann von sechs Frauen, derer er sich teils durch Scheidung, teils durch Enthauptung entledigte, oder die er durch den Tod im Kindbett verlor, bekannt. Seine Scheidung von Katharina von Aragon führte zum Zerwürfnis mit Rom und zur Gründung der anglikanischen Kirche.

Heinrich VIII. ist zeit seines Lebens der Musik treu geblieben. Unter seiner Regierung wurde die englische Hofkapelle zu einer der berühmtesten Europas. Er versammelte an seinem Hof eine große Anzahl Musiker, Komponisten und Interpreten und komponierte von Fall zu Fall selbst.

Wir spielen sein wohl bekanntestes Lied “Pastime with good company”, in dem er die Vorzüge der in guter Gesellschaft verbrachten Zeit schildert. Von seinem Charakter her könnte das Lied z. B. im Rahmen einer Jagdgesellschaft erklungen sein.

Wenn die Ernte eingebracht ist, kommt die Zeit der Jahrmärkte und Feste. Die beiden Tänze “Christina” und “Barbara” führen uns auf eine solche Tanzveranstaltung.

Die im Mai begonnenen Liebschaften dauern nun schon fast ein halbes Jahr. Da ist für Manchen Zeit für eine kurze Zwischenbilanz: “Ah Robin, gentle Robin” ist der Dialog zwischen zwei Männern – der eine beklagt sich über die Untreue seiner Dame, der andere entgegnet, dass er nur Treue und Liebe von seiner Angebeteten erfahren hat.

“De tous bien plane” besingt ebenfalls die Vorzüge einer äußerst tugendhaften Dame.

Wir nähern uns dem Ende des Kirchenjahres:

Die Komposition “In te Domine speravi” des französischen Komponisten Josquin des Prés findet sich in der spanischen Liedersammlung “Cancionero Musical de Palazio”. Den Beinamen “d’Ascanio” erwarb sich des Prés durch die Anstellung beim Mailänder Kardinal Ascanio Sforza. Der Überlieferung nach war der vordergründig geistliche Text “auf dich, Herr, habe ich gehofft” als eine Zahlungsaufforderung Josquins an den wohl etwas knauserigen Kardinal gedacht...

Mit zwei weiteren Stücken aus dem Llibre Vermell befinden wir uns schon wieder in der Adventszeit, in der am 08. Dezember das “Hochfest der ohne Sünde empfangenen Gottesmutter” gefeiert wird. “Polorum regina” bittet die “Königin aller Himmel, die immer rein blieb”, darum, unsere Sünde hinweg zu nehmen. “Mariam matrem virginem” bittet sowohl Maria als auch Jesus Christus um Beistand.